Nicht nur im NWL-Gebiet werden stillgelegte Bahnstrecken für den Personenverkehr reaktiviert, sondern in ganz Deutschland. Auf der zweitägigen Fachtagung „Reaktivierungen“ kamen deshalb Planer und Bahnexperten aus dem gesamten Bundesgebiet in Stuttgart zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Für den NWL mit dabei waren Anja Stocksieker, Leiterin des Projekts Harsewinkel – Verl, und Nils Winter, Leiter des Projekts Münster – Sendenhorst. Hier einige ihrer Eindrücke:
Reaktiviert wird überall: Auf der Fachtagung wurden Projekte aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Schleswig-Holstein, Berlin und Brandenburg vorgestellt. Und zwar in allen denkbaren Projektphasen – von der Machbarkeitsstudie bis zur Inbetriebnahme. Das zeigt: Der Ausbau oder die Wiederinbetriebnahme bereits vorhandener Bahntrassen hat bundesweit Priorität und ist ein ganz wesentlicher Baustein der Verkehrswende. Dabei geht es nicht nur um eine zuverlässige und umweltschonende Mobilität, sondern immer auch um die bessere Anbindung von Stadt und Land.
Jedes Projekt ist einzigartig: Die Blaupause für eine zügige und erfolgreiche Reaktivierung gibt es nicht. Denn die Rahmenbedingungen sind extrem unterschiedlich. Dafür sorgen ein landesspezifisches Planungsrecht, unterschiedliche Finanzierungsbedingungen und jede Menge lokale Besonderheiten – von Bahnübergängen über Lärmschutz bis zum Naturschutz. Das macht die Projekte komplex und aufwändig.
Mit der Museumsbahn schneller zum Ziel: Wer hätte gedacht, dass ein sechzigjähriger Schienenbus die Reaktivierung deutlich beschleunigen kann? Denn wenn auf einer Strecke auch nur einmal im Monat eine Museumsbahn fährt, gilt die Trasse nicht als „entwidmet“. Dadurch entfällt eine ganze Reihe von aufwändigen Antrags-, Planungs-, und Genehmigungsschritten. Dies gilt auch für Bahnstrecken, die nur noch im Güterverkehr betrieben werden. Laut Eisenbahngesetz gibt es nämlich keine Unterscheidung zwischen Güter- oder Personenverkehr-Strecken.
Die Projekte im NWL-Raum sind besonders anspruchsvoll: Die SchienePLUS-Projekte gehören zu den fahrgaststärksten in ganz Deutschland. Während in anderen Bundesländern auf einigen ländlichen Reaktivierungsstrecken nur knapp 1.000 Fahrgäste pro Tag befördert werden, sind es zum Beispiel auf der Linie Münster – Sendenhorst künftig rund 10.000. Zudem müssen die Reaktivierungsstrecken im NWL an die Knotenbahnhöfe Münster, Gütersloh und Osnabrück angebunden werden, an denen viele Fern- und Nahverkehrslinien zusammenlaufen. Auf engem Raum mit hoher Auslastung zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, ist planerisch besonders aufwändig.
Gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis im NWL-Gebiet: Der volkswirtschaftliche Nutzen von Reaktivierungsprojekten wird über einen Kosten-Nutzen-Indikator festgestellt, der nach einem standardisierten Verfahren ermittelt wird. Ist dieser Wert größer als 1, „lohnt sich“ das Projekt. Mit Werten von 1,3 und mehr erreichen die SchienePLUS-Projekte im Vergleich sehr gute Ergebnisse. Bei einigen Reaktivierungsprojekten in anderen Bundesländern liegt der Wert knapp über 1.
Nils Winter zieht ein positives Fazit: „Der Blick über den Tellerrand und der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern ist extrem wertvoll. Vor allem war es toll zu sehen, wie gut die bereits umgesetzten Projekte von den Fahrgästen angenommen werden. Zum Beispiel die IRE-Linien (Interregio Express) in Baden-Württemberg: Wir konnten uns den Bahnhof Merklingen anschauen, von wo es mit dem IRE 200 nach Reutlingen, Ernstingen und Münsingen und wieder zurück nach Stuttgart ging. Aber auch die Nahverkehrslinie IRE 1 von Karlsruhe über Stuttgart, Merklingen und Ulm bis zum Bodensee ist ein positives Beispiel. Die Linie ist stark frequentiert und hat die Fahrzeiten auf der Strecke deutlich verkürzt. Das zeigt eindrücklich, dass sich die Mühe mehr als lohnt.“