Haller Willem: Einst stillgelegte Nebenstrecke, heute Stütze des Nahverkehrs
Vor 20 Jahren wurde die stillgelegte Bahnstrecke „Haller Willem“ wieder für den Schienenverkehr freigegeben. Die Reaktivierung der Verbindung zwischen Bielefeld und Osnabrück hat sich für die Region infrastrukturell, wirtschaftlich und gesellschaftlich als Glücksfall erwiesen. Ein Blick zurück auf die turbulente Geschichte einer wichtigen Transportachse.
Musik, Feierlichkeiten, freudige Gesichter und ein buntes Rahmenprogramm: Am 12. Juni 2005 herrschte Volksfeststimmung entlang der Bahnstrecke zwischen Bielefeld und Osnabrück. Tausende Menschen feierten damals die Rückkehr des Haller Willem. Auch der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hatte es sich nicht nehmen lassen, bei der ersten Fahrt nach jahrelanger Stilllegung dabei zu sein. Mit der erfolgreichen Reaktivierung der Verbindung standen die Weichen in der gesamten Region auf Aufbruch.
Inzwischen hat sich der Haller Willem längst als tragende Achse im Nahverkehr zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen etabliert. Im Vergleich zur Anfangszeit haben sich die Fahrgastzahlen mehr als verdreifacht. Täglich nutzen rund 5.000 Fahrgäste die Verbindung, um zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt oder in die Stadt zu kommen. Der Haller Willem verläuft auf rund 60 Kilometern Länge entlang des Teutoburger Walds und verbindet die ländlichen Gebiete entlang der Strecke mit den städtischen Großräumen Bielefeld und Osnabrück. „Der Haller Willem war und ist ein Meilenstein für die Region“, sagt Anja Stocksieker, Projektkoordinatorin zur S-Bahn OWL beim Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL). „Diese Erfolgsgeschichte wollen wir in den kommenden Jahren weiterschreiben und gezielt in den Ausbau des Nahverkehrs investieren.“ |
![]() Christian Wulff (3. v.l.), Niedersachsens damaliger Ministerpräsident, bei der Reaktivierung 2005. (Fotos: IHW) |
Weiterentwicklung der Strecke als Teil der S-Bahn OWL
Konkret soll der Haller Willem zukünftig Teil der geplanten S-Bahn OWL werden. Dieses regionale Bahnkonzept setzt auf engere Takte, moderne Fahrzeuge, kürzere Reisezeiten und eine bessere Vernetzung. Auch die Bahnstrecke zwischen Bielefeld und Osnabrück soll in diesem Zusammenhang weiterentwickelt und gestärkt werden. Der Haller Willem soll dann im Halbstundentakt unterwegs sein. Zudem sind neue Verknüpfungen zu weiteren Bahnlinien geplant – zum Beispiel in Richtung Paderborn.
Rückblick: Haller Willem wird zum Wirtschaftsmotor
Die Geschichte des Haller Willem reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1886 nahm die Strecke offiziell ihren Betrieb auf. In der Anfangszeit transportierte sie Materialien, Güter und Bodenschätze zu den verarbeitenden Betrieben und leistete so einen entscheidenden Beitrag zum Aufschwung von Handel, Handwerk, Landwirtschaft und Industrie in der Region. Auch der Ausflugsverkehr zwischen den einzelnen Städten und Gemeinden nahm nach und nach zu. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts machte der motorisierte Autoverkehr der Schiene allerdings immer mehr Konkurrenz. Die Bahnstrecke Haller Willem verlor an Attraktivität und wurde anschließend ab 1984 schrittweise stillgelegt. Als Anfang der 1990er-Jahre Pläne auftauchten, auch den Güterverkehr einzustellen und die Gleise zu demontieren, formierte sich eine Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt und den Ausbau des Haller Willem einsetzte. Mit Erfolg: Die Planungen für eine mögliche Reaktivierung nahmen nach der Jahrtausendwende an Fahrt auf und mündeten schließlich in der Wiederinbetriebnahme im Sommer 2005. Weitere Infos zur Historie und Reaktivierung der Bahnstrecke Haller Willem |
![]() Der Haller Willem bei seiner letzten Fahrt vor der Stilllegung 1984. |
Vier Fragen an Johannes Bartelt
Die Initiative Haller Willem machte sich nach Stilllegung der Strecke für den Erhalt und den Ausbau der Verbindung stark. Ein Mann der ersten Stunde ist Johannes Bartelt. Seit 1991 koordiniert er die Aktivitäten der Initiative. Im Interview verrät er, wie die Bahnlinie zu ihrem Namen kam und was sie mit dem Brennerpass verbindet.
Herr Bartelt, in Fachkreisen wird der Haller Willem auch „Kleiner Brenner“ genannt. Was hat die Strecke zwischen Bielefeld und Osnabrück mit dem Brennerpass über die Alpen zu tun?
Johannes Bartelt: Auf dem Weg durch den Teutoburger Wald muss der Haller Willem enge Kurvenradien und einen steilen Anstieg passieren. Maßgebend für den Spitznamen und den Vergleich mit dem Brennerpass ist der schwierige Anstieg bei Hilter/Hankenberge. Die Pläne damals sahen aus Kostengründen für diesen Streckenabschnitt keine Tunnelbauwerke vor. Daher mussten sich die Züge wie in den Alpen mühsam die Steigung hochkämpfen.
Der Name Haller Willem ist einigen möglicherweise nicht so geläufig. Wie kam es zu diesem Namen?
Bartelt: Der Haller Fuhrmann Wilhelm Stuckemeyer war zweimal täglich mit seinem Pferdewagen auf der Strecke zwischen Halle und Bielefeld unterwegs, um Personen und Güter von A nach B zu bringen. Seine humorvolle Art und seine Beliebtheit in der Bevölkerung brachten ihm den Spitznamen „Haller Willem“ ein. Zwar verlor er durch die Inbetriebnahme der Strecke im Jahr 1886 seinen Job. In Vergessenheit geriet er allerdings nicht. Denn sein Spitzname wurde schnell auch zum Namensgeber der neuen Verbindung. |
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Nach der Stilllegung der Strecke setzte sich die Initiative Haller Willem mit Nachdruck für die Reaktivierung ein. Was waren die wichtigsten Meilensteine auf diesem Weg?
Bartelt: Im Jahr 1993 fand mit einer Dampflok eine Testfahrt zwischen Bielefeld und Osnabrück statt. Es ging darum, herauszufinden, wie groß das Interesse in der Bevölkerung und in den Kommunen an einer Reaktivierung ist. Die Resonanz fiel überwältigend aus und hat uns für die weiteren Bemühungen enormen Rückenwind gegeben. Später folgte eine Abstimmung unter den Anrainerkommunen, bei der ohne Ausnahme alle für die Wiederinbetriebnahme votiert haben.
Wenn Sie an den Tag im Sommer 2005 zurückdenken, als auf dem Haller Willem erstmals wieder Züge unterwegs waren. Welche Erinnerungen haben Sie vor Augen?
Bartelt: Da sind vor allem die Menschenmengen zu nennen, die die Bahnhöfe und Züge in Scharen bevölkerten. Gefühlt waren in den Städten und Gemeinden entlang der Strecke alle auf den Beinen, um den Haller Willem zu feiern. Der Tag hat gezeigt, dass sich die Region stark mit ihrer Bahnlinie identifiziert und die Reaktivierung das Potenzial zu einer echten Erfolgsgeschichte hat.
Über die Initiative Haller Willem:
Die Initiative Haller Willem schloss sich im Jahr 1991 zusammen, als nach dem Personenverkehr auf der Strecke auch der Güterverkehr eingestellt werden sollte. Sie ist ein unabhängiger, regionaler Zusammenschluss aus Bürgerinnen und Bürgern sowie dem Fahrgastverband Pro Bahn, der Gemeinschaft für Natur- und Umweltschutz im Kreis Gütersloh, der Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft Ortsverwaltung Osnabrück-Emsland und dem Verkehrsclub Deutschland Kreisverbände Osnabrück und Ostwestfalen-Lippe.